Vienna Calling

Folge 80 (Season Finale Staffel 4) "Vienna Calling"

Die Folge beginnt mit der Luftansicht eines fahrenden Zuges. Der Zug fährt schnurgerade nach rechts durch eine sommerlich grüne Landschaft, am Rand der Strecke sehen wir kleine Wälder und vereinzelte Häuser.

Die Szene blendet in einen Wagon des Zuges. Wir sehen ein braunhaariges Mädchen, Alter etwa 20 Jahre, auf ihrem Sitzplatz. Sie liest gedankenversunken in einem Buch, welches sie vor sich liegen hat.

Die Kamera fährt ein Stück nach links und wir bemerken, daß Rick auf der anderen Seite des Wagons sitzt. Er beobachtet das Mädchen intensiv und scheint seiner Mimik nach über irgendetwas erstaunt zu sein. Er zieht ein Heftchen aus seiner Jacke und versucht für einige Sekunden, das Verhalten des Mädchens nachzuahmen.

Dann überwindet er sich und beugt sich ein Stück nach drüben in ihre Richtung.

Rick: [zu Mädchen] "Hey. Psssst. Hey. Hey. Psssst..."

Sie sieht sich zuerst irritiert um und bemerkt dann Rick, der sie angesprochen hat.

Rick: [deutet] "Was liest du?"

Sie zögert kurz und hält ihm dann wortlos das Buch mit der Vorderseite hin. Wir lesen:

Albert Camus - L'Homme Révolté

Mädchen: "Und du?"

Rick zögert ebenfalls kurz und dreht dann die Vorderseite seines Buches zu ihr hin. Es ist ein Schlumpf-Comic. Wir lesen:

Die Schlümpfe - Limitierte Spezial-Spion-Edition Blau

"Der Schlumpf, der mich schlumpfte..."

[nächste Ausgabe: Octoschlumpfie]

Rick: [mysteriös] "Ich glaube, in dieser Ausgabe besteht die Gefahr, daß Gargamel das Dorf findet und wirklich alle fängt..."

Sie sieht ihn kurz etwas irritiert an, nickt dann andeutungsweise und vertieft sich wieder in ihre ernste Literatur.

Rick zieht sich wieder auf seinen Sitz zurück. An seiner Mimik und Gestik ist erkennbar, daß ihm auffällt, daß er gerade ziemlich Unfug geredet hat. Er klopft sich murmelnd ein paarmal mit der flachen Hand auf die Stirn, dann kommt ihm eine neue Idee. Er mustert das Mädchen kurz und neigt sich dann wieder nach drüben.

Rick: "Mal ernsthaft - ich arbeite hier an einer sehr wichtigen Abhandlung..."

Sie widmet ihm erneut einen wenig interessierten Blick und liest dann weiter - was Rick nicht aufhält.

Rick: "Ich meine...über das seltsame Sexualleben der Schlümpfe gibt es Texte wie Sand am Meer. Kein Neuland hier. Ich wollte das Thema aber nun von einem völlig anderen Blickwinkel angehen. Verstehst du?"

Kurze Pause ohne Antwort.

Rick: "Meine These: sehen wir uns doch mal Gargamel an. Warum lebt der Mann allein im Wald? Warum tut er die Dinge, die er tut? Die einzige Frau im ganzen Umkreis ist klein, blau und mag ihn nicht wirklich. Also - kommt sein Hass auf die Schlümpfe und deren Dorf vielleicht aus sexueller Frustration? Darüber sollte man nachdenken..."

Mädchen: [blickt kurz desinteressiert auf] "Tatsächlich?"

Rick: [überzeugt] "Absolut. Und mir kam dann auch eine Idee. Der Mann lebt ja gar nicht allein - er hat eine Katze..." [Pause, dann mysteriös weiter] "Welche Rolle spielt die Katze? Gibt es nicht eine sexuelle Vorliebe für pelzige Tiere?"

Das Mädchen verzieht kurz das Gesicht und schüttelt andeutungsweise den Kopf. Hinter Rick steht eine älteres Ehepaar mit zwei Kindern deutlicher kopfschüttelnd auf und geht hastig aus dem Wagon.

Das Mädchen will weiterlesen, bemerkt aber, daß sie Rick wartend ansieht.

Mädchen: "Ist wirklich nicht mein Thema..." [Pause] "...aber hat Gargamel nicht einen Kater?"

Rick denkt kurz darüber nach, dann laut:

Rick: [entrüstet] "So ein Ferkel..." [Pause] "Das wird ja immer schlimmer..."

Er zieht einen Haufen halbzerknülltes Papier aus seiner Hosentasche und beginnt murmelnd hastige Notizen darauf zu machen.

Nach ein paar Sekunden Gekritzel beugt er sich wieder nach drüben.

Rick: "Mal ehrlich - sehe ich aus wie ein reisetechnischer Businessmensch?" [Pause] "Ich bin nämlich einer. Ich bin im Auftrag meines Chefs vom Reisebüro unterwegs zu einer Touristikmesse in Ungarn..."

Sie blickt wieder von ihrem Buch auf und mustert ihn.

Mädchen: "Du siehst eher aus wie jemand, der ohne Fahrkarte unterwegs ist..."

Rick sinkt sofort tiefer in seinen Sitz und hält sich den Comic vor das Gesicht.

Rick: "Ist das so deutlich?"

Mädchen: [überrascht] "Du hast wirklich keine Fahrkarte?"

Rick: "Nein..." [Pause] "Ich meine...ich hatte eine. Kennst du diese großen Plastikkoffer mit Rädern? Lass dir bloß nicht erzählen, die Dinger wären unsinkbar. Probier es nicht aus. Nicht mal, wenn es draufsteht. Es gibt überhaupt keine unsinkbaren Koffer..."

Er wühlt in seiner Tasche und zieht triumphierend ein Stück klatschnasses Papier raus.

Rick: "Ich hab aber meine Rückfahrkarte für morgen gerettet. Und wegen der Hinfahrt hatte ich dem letzten Kontrolleur etwas Bargeld zugesteckt. Jetzt bin ich zwar pleite, aber der Weg bis nach Ungarn ist sicher..."

Mädchen: [nach kurzer Denkpause] "Vor dem Bahnhof in Wien wechseln die Kontrolleure."

Rick: [cool] "Jepp. Alles nach Plan..." [realisiert] "Was?"

Mädchen: "Vor dem Bahnhof in Wien wechseln die Kontrolleure."

Der Zug beginnt abzubremsen, vor den Fenstern taucht der Bahnhof auf. Rick wird nervös.

Rick: [sieht sich um] "Ähm. Schnell. Gib mir deine Karte..."

Mädchen: "Was?" [schüttelt Kopf] "Keine Chance..."

Rick zieht einen leeren Bogen Papier und ein paar Wachsmalstifte hervor.

Rick: "Nur kurz als Vorlage. Ich mal mir eine neue Fahrkarte..."

Sie ignoriert ihn und sucht in ihrer Handtasche nach ihrer Fahrkarte. Kaum hat sie diese gefunden, schnappt sie Rick weg.

Mädchen: "Heh..."

Sie zerren die Karte kurz über den Mittelgang hin und her, bis sie sich Rick endgültig schnappt. Er beginnt eine krude Kopie der Karte mit den Buntstiften zu malen.

Das Mädchen funkelt ihn mit verschränkten Armen verärgert an und versucht dann, nach ihrer Fahrkarte zu greifen.

Mädchen: [erklärt] "Wenn sie dich mit einer gefälschten Karte erwischen, bist du gleich noch mehr dran, als ohne Karte."

Rick: [erschrocken] "Tatsächlich...?" [Pause] "Dann sollte ich das Beweisstück verschwinden lassen..."

Die Tür des Wagons öffnet sich und ein Kontrolleur kommt herein. Der Zug bremst nochmal ab. Rick sieht sich kurz nervös und hektisch um und steckt das nächstliegende Stück Papier in den Mund. Er kaut kurz und schluckt es dann runter.

Er reicht dem Mädchen eine Karte nach drüben, aber als wir diese sehen, ist es sein Papier mit Buntstiftgekritzel.

Mädchen: [drohend] "Wo ist meine Fahrkarte?"

Rick: [antwortet mit kurzem Schluckauf] "Upps..."

Der Kontrolleur erreicht ihre Sitzreihe.

Kontrolleur: [zu Rick] "Die Fahrkarten bitte, der Herr..."

Rick tastet kurz an seiner Hosentasche herum, überlegt und beugt sich dann am Kontrolleur vorbei rüber zu dem Mädchen.

Rick: "Äh. Liebling. Hast du nicht unsere beiden Karten bei dir?"

Der Schaffner dreht sich nach drüben und sieht das Mädchen wartend an. Diese ist perplex.

Mädchen: "Was? Nein. Ich kenne diesen Typ überhaupt nicht. Der hat meine Fahrkarte gegessen..."

Kontrolleur: "Kann ich ihre Fahrkarte mal sehen?"

Mädchen: [sauer] "Nein. Ich sage doch gerade - der Schlumpf da drüben hat sie einfach runtergeschluckt..."

Sie wedelt mit Ricks selbstgemalter Karte rum.

Rick: [beugt sich rüber] "Okay. Gib es auf, Liebling. Ich habe die Wette gewonnen. Die Kontrolleure in diesem Zug sind eben doch nicht so bescheuert, wie du gesagt hast." [achselzuckend] "Cést la vie..."

Der Kontrolleur sieht beide ärgerlich an.

Die Szene wechselt zu Rick und dem Mädchen, die zusammen auf dem Bahnsteig stehen. Der Zug fährt gerade weiter und Rick winkt dem Zug ziemlich gutgelaunt hinterher. Dann dreht er sich zu dem Mädchen um.

Rick: [streckt sich] "Okay. Dann wollen wir die kleine Unterbrechung nutzen. Wie heißt diese Stadt nochmal?"

Die Kamera fährt zurück und wir sehen neben ihm das große Schild "Wien Hauptbahnhof", umgeben von anderen Plaketen mit der Aufschrift "Wien". Über dem Bahnsteig hängt ein Schild "Wilkommen in Wien".

Das Mädchen studiert einen Fahrplan an der Wand.

Mädchen: [zu sich selbst] "Na toll. Der nächste Zug in meine Richtung fährt morgen vormittag und ich hab gerade noch soviel Geld, um mir die Fahrkarte leisten zu können..."

Rick schlendert unbekümmert heran.

Rick: "Okay..." [Pause] "Und was machen wir jetzt?"

Mädchen: [sauer] "Wir?"

Rick legt den Kopf mit einem schrägen Grinsen schief - und sie haut ihm heftig eine runter.

Rick: [erstaunt] "Aua. Womit hab ich das jetzt verdient?"

Sie stürmt wortlos davon, schnappt sich ihre Tasche und verschwindet in einer Unterführung. Rick denkt kurz nach, zuckt mit den Achseln und läuft ihr dann nach.

Die Szene wechselt zu einer Texteinblendung:

2 Stunden später

und wir sehen, wie das Mädchen auf einer Brücke auf einer Bank sitzt und ziemlich belämmert dreinblickt. Rick schlendert pfeifend von rechts in das Bild und setzt sich neben sie. Beide schweigen für einige Sekunden.

Mädchen: [sauer] "Wann werde ich dich endlich wieder los?"

Rick: [sieht auf nicht vorhandene Armbanduhr] "Also ehrlich gesagt - sicher nicht vor Sonnenaufgang..."

Mädchen: "Warum? Zerfällst du dann zu Staub und ich hab endlich wieder meine Ruhe?"

Rick: "Nein. Aber morgen früh kann ich mit meiner Rückfahrkarte in den Zug steigen und heim fahren..."

Mädchen: [sauer] "Ich kann es kaum erwarten..."

Sie schweigen wieder für einige Sekunden, dann lächelt das Mädchen zu Ricks Überraschung andeutungsweise.

Mädchen: "Man muß zumindest deine Hartnäckigkeit bewundern..."

Rick: "Jepp. Ich wundere mich selbst..." [Pause] "Aber ich fühle mich zumindest teilweise für das verantwortlich, was passiert ist."

Mädchen: [erstaunt] "Teilweise?"

Rick: "Okay. Wir könnten jetzt den Rest des Tages argumentieren, wer denn nun für diese Misere die Schuld trägt und doch zu keinem Ergebnis kommen..." [Pause] "Also mein Vorschlag: wir sitzen beide bis morgen hier fest. Machen wir das Beste daraus."

Sie schweigen wieder kurz, dann nickt sie dezent.

Rick: "Wie heißt du eigentlich?"

Mädchen: "Clarissa..." [Pause] "Und du..."

Rick: "Ähm...Richard...ich meine Richie...ich meine...meine Freunde nennen mich Rick..."

Clarissa: [verwirrt] "Richie Rich?" [Pause] "Ausgezeichnet. Dann bezahlst du die Übernachtung..."

Rick: "Nein. Einfach nur Rick..." [klopft auf Taschen] "Und ich bin sowas von pleite."

Die Szene wechselt. Sie haben all ihr gemeinsames Geld auf dem Boden vor der Bank zusammengeworfen. Es ist nur ein sehr kleiner Haufen Münzen.

Clarissa: "Okay. Abzüglich des Geldes, das ich für die Fahrkarte brauche, bleiben uns exakt...3 Euro und 14 Cent." [sarkastisch] Kann man davon zu zweit in Wien bis morgen vormittag leben?"

Rick: [fröhlich] "Wie Kaiser und Könige..." [Pause] "Wir werden zwar kein Geld für Essen, Trinken, Körperhygiene, Unterkunft, Eintrittsgelder, Souvenirs und Autobahnmaut haben..." [Pause] "Aber ansonsten wie Kaiser und Könige..."

Die Szene wechselt. Die beiden sind zufuß in der Innenstadt angekommen.

Rick: [deutet] "Nehmen wir doch so eine Kutsche."

Clarissa: "Einen Fiaker?"

Rick: [deutet nochmal] "Nein. So eine Kutsche..."

Die Szene wechselt zu Rick und Clarissa im Fiaker. Auf dem Kutschbock sitzt ein Kutscher, der aussieht wie Hans Moser.

Die beiden versuchen, sich möglichst rechts und links auf die Seite der Kutsche zu drängen, damit sie nicht zu nah zusammen sitzen. Dies stellt sich aber schnell als recht schmerzhaft für den Sitzmuskel heraus und sie rücken etwas zusammen. Rick späht einige Male verlegen nach drüben. Sie streicht sich die Haare aus den Augen - was für Rick ein "gutes" Stichwort ist.

Rick: "Könntest du das bitte lassen?"

Clarissa: "Was?" [streicht die Haare zur Seite]

Rick: [genervt] "Das ständige Gegriffel an deinen Haaren. Was soll das? Bist du Friseuse? Hast du Läuse?"

Sie wirft ihm einen ärgerlichen Seitenblick zu und bindet die Haare zusammen.

Clarissa: "Du bist nicht oft mit Frauen zusammen, oder?"

Rick: [denkt kurz nach] "Eine interessante Frage..."

Clarissa: [fertig mit Zopf] "Es gibt Leute, die finden das niedlich...und sexy..."

Rick: [trocken] "Ja. Shampoo-Verkäufer, die dir was gegen fettige Strähnchen andrehen wollen."

Der Fiaker rumpelt weiter über die Straßen.

Ricks Handy klingelt (mit der Misfits-Titelmelodie.) Er zieht es aus der Hosentasche und schaltet es an.

Rick: [in Handy] "Jepp. Oh. Hallo, Chef. Wie? Die Touristikmesse? Ja, gerade angekommen..." [Pause] "Hmm. Die Broschüren? Äh. Die gehen sehr gut weg. Sie...schwimmen mir sozusagen aus der Hand..."

Der Fiaker biegt auf einen großen Platz ein, die Pferde traben etwas schneller.

Rick: [in Handy] "Hufgetrappel? Was für Hufgetrappel?" [denkt kurz] "Ach so. Hier läuft gerade ein Messefilm über Reisen mit Pferdekutschen in der Puszta..."

Fiakerfahrer: [laut, wienerisch] "Stephansdom, die Herrschaften..."

Rick: [in Handy] "...in der Puszta...straße in Wien. Interessantes Material. Whoops, hier kommt Kundschaft...ich werde einen genauen Bericht schreiben, sobald ich wieder zurück bin. Und Tschüs..."

Er schaltet das Handy ab und wirft es nach kurzem Zögern nach hinten aus der Kutsche. Clarissa blickt dem Handy erstaunt nach und sieht dann Rick mit einem seltsamen Gesichtsausdruck an. Dann lächelt sie kurz.

Der Fiaker hält an und der Fahrer dreht sich um.

Fahrer: "So, die Herrschaften. Das macht dann..."

Er bemerkt, daß die Kutsche hinter ihm plötzlich leer ist. Er grantelt Hans-Moser-artig (und kaum verständlich) los.

Musik setzt ein und das Bild wechselt zu einer Montage von touristischen Szenen.
Als Musikuntermalung hören wir "If you want to sing out" von Cat Stevens. Wir sehen:

- Rick und Clarissa vor dem Stephansdom
- Beide vor dem Wiener Rathaus
- Clarissa, die einem Hund ein Stückchen Wurst wegschnappt, während Rick den Hund ablenkt (und gebissen wird)
- Rick und Clarissa vor dem Johann-Strauß-Denkmal im Stadtpark
- Beide vor der Neuen Hofburg
- Rick und Clarissa, die sich über einen Kinderwagen beugen. Rick schaut sich um und klaut dem Kleinen die Milchflasche
- Rick wird von einer Regenschirm-schwingenden Mutter verfolgt und läuft weg

Die Montage und Musik endet. Sie lassen sich außer Atem auf eine Parkbank fallen.

Clarissa: "Ich weiß nicht, ob es an den verschimmelten Brötchen aus dem Mülleimer liegt, die wir gegessen haben..." [schmunzelt] "aber so langsam fängt mir dieser Tag an, Spaß zu machen." [nachdenklich] "Ich glaube, ich brauche ärztliche Hilfe..."

Sie deutet nach drüben auf einen Vinyl-Musikladen.

Clarissa: "Lass uns da rein gehen..."

Rick: [offscreen] "Non-digitale Musik? Ist das nicht was für Babies?"

Die Kamera fährt nach drüben und wir sehen, daß er den letzten Rest Milch aus der geklauten Babymilchflasche nuckelt.

Die Szene wechselt zu einer Innenansicht des Ladens. Clarissa wühlt in den Platten, während Rick mit dem Verkäufer spricht.

Rick: [zu Verkäufer] "Haben sie auch was von Vadder Abraham?"

Die Szene wechselt zu Clarissa und Rick in der Plattenhörkabine. Die Kamerasicht ist etwas von unten. Beide sind scheinbar wegen des engen Raums eher unkomfortabel und versuchen, sich nicht zu nahe zu kommen oder sich gegenseitig anzusehen.

Als die Musik einsetzt, ist es ein grottenschmalziger französischer Chanson. Der Song spielt einige Sekunden. Es ist deutlich, daß er keinem der beiden gefällt, aber bei Rick verändert sich die Gesichtsfarbe mit zunehmendem Schmalzfaktor in den grünen Bereich und seine Hand wandert nach oben vor den Mund.

Die Szene wechselt abrupt zu den beiden auf einer Parkbank. Rick ist immer noch blaß und hält sich den Magen.

Clarissa: [vorwurfsvoll] "Das ist jetzt schon das zweite Mal heute, daß ich wegen dir rausgeworfen werde. Zufrieden?"

Rick: "Also ehrlich - die Leute in dem Plattenladen haben doch übertrieben reagiert."

Clarissa: [zieht Augenbraue hoch] "Tatsächlich?" [Pause] "Es passiert denen sicher nicht jeden Tag, daß jemand ihre Hörkabine vollkotzt und dann als Entschuldigung auch noch fordert, daß die gerade gespielte Platte sofort zerstört werden muß..."

Rick: "Jetzt bin ich pleite, in einer fremden Stadt und mein Magen ist leer..." [jammert] "Tu was dagegen..."

Sie wühlt in ihrer Handtasche und zieht einen Schokoriegel heraus. Sie gibt ihn Rick, der diesen gierig aufreisst.

Clarissa: "Ich habe eine gewagte Idee - wir sollten Adressen und Telefonnummern austauschen..."

Rick: [nickt unsicher] "Okay..."

Clarissa: "Woher kommst du?"

Rick: [denkt kurz nach] "Aus einem obskuren Städtchen in der Provinz. Wirst du nicht kennen. Wir werden nicht oft im Fernsehen genannt oder so..." [Pause] "Woher kommst du?"

Clarissa: [denkt kurz nach] "Geht mir ähnlich..."

Rick tastet seine Jackentasche ab.

Rick: "Wart mal...meine Karten..." [Pause] "Hoppla. Die waren in meinem Koffer..."

Clarissa: "Deine Handy-Nummer?"

Rick: [deutet] "Das hab ich gerade aus der Kutsche geworfen..." [realisiert] "Und es war nicht mal meines..."

Sie tastet ihre Taschen ab, schüttelt aber dann leicht schmunzelnd den Kopf.

Clarissa: "Meines habe ich im Zug liegen lassen..." [erstaunt] "Und das fällt mir jetzt erst auf." [Pause] "Dienen Nummern und Karten tatsächlich dem Erhalt von zwischenmenschlichen Kontakten? Oder verschwindet das Individuum schneller als es einem lieb sein kann in Kategorien und Ziffern?" [Pause] "Der Nummernspeicher in meinem Handy war voll, aber wer sind die Leute?"

Rick versucht, auf ein Stück Papier zu kritzeln, aber der Kugelschreiber ist leer. Er wirft ihn nach hinten weg.

Rick: "Okay. Nachdem wir das geklärt haben - gehen wir weiter?"

Sie nickt nach kurzem Zögern und beide stehen auf. Sie gehen nach rechts aus dem Bild.

Sie kommen am Prater vorbei. Im Hintergrund sind viele Fahrgeschäfte und natürlich das Riesenrad zu sehen. Musik spielt.

Rick: [deutet auf Prater] "Guck mal. Der Rummel ist in der Stadt..."

Sie verdreht kurz die Augen, aber beide schlendern dann gemeinsam in Richtung Prater.
Die Szene wechselt zu den beiden in einer Kabine des Riesenrades. Wir sehen einen wunderbaren Ausblick auf die Stadt.

Rick: [zögernd]  "Weißt du - wir zwei hier, über Nacht in Wien, im Riesenrad, in der Kabine. Das erinnert mich an eine Szene, die ich mal einem Film gesehen haben..." [er kommt einen Schritt näher] "Darf ich sie dir zeigen..."

Clarissa ist etwas überrascht, nickt aber nach kurzem Zögern.

Rick kommt noch einen Schritt näher, berührt sie an den Schultern und beugt sich vor. Romantische Musik spielt kurz an - um abrupt wieder abzubrechen, als Rick Clarissa ein Stück weiter hinten in der Kabine positioniert ("Du must hier stehen...")

Er öffnet die Kabinentür und lehnt sich dagegen. Mit einer imaginären Zigarette in der Hand beginnt er ein Schmierentheater in Anlehnung an den dritten Mann, das von Gestik, Mimik und Stimme her stark an Marlon Brando im Paten erinnert.

Rick: [wie Pate] "Hören Sie, Mister. In Italien...in den dreißig Jahren...unter den Borgias hat es nur Krieg gegeben, Terror, Blut, Pay-TV und Berlusconi. Aber dafür gab es die Renaissance, Michelangelo, Leonardo, Meister Splinter und Chico Marx. In der Schweiz herrschte brüderliche Liebe, fünfhundert Jahre Demokratie und Frieden. Und was haben wir davon: die Kuckucksuhr..." [theatralisch] "Oh...das Grauen...das Grauen....das Grauauauauen..."

Er schnippt die imaginäre Zigarette aus der offenen Kabinentür und verneigt sich leicht. Erwartungsvoll blickt er auf..

Clarissa: [versucht höflich] "Bemerkenswert. Bemerkenswert verpeilt..." [Pause] "Wie geht die Geschichte weiter?"

Rick denkt kurz angestrengt nach und zuckt dann mit den Achseln.

Rick: "Das kann ich hier drin leider nicht aufführen." [Pause] "Dafür bräuchten wir einen schwarzen Ford Mustang und den Schneemann mit seinem Truck..."

Rick will sich an die Tür lehnen, hat aber vergessen, daß diese offensteht. Er verliert beinahe das Gleichgewicht und fällt aus der Kabine. Er rudert mit den Armen, kippt nach vorne und dann wieder nach hinten. Clarissa eilt ihm zu Hilfe, aber am Ende fallen beide nach einer tanzenden Umarmung rückwärts aus der offenen Tür. Wir sehen eine Nahaufnahme der beiden schreiend...

...als die Kamera zurückfährt, sehen wir jedoch, daß die Kabine gerade wieder auf dem Erdboden angekommen ist und die beiden nur ein Stückchen gefallen sind und nun auf dem Rücken im Zugangsbereich liegen. Ein Mann sieht sie verärgert an.

Mann: [wienerisch] "Die nächsten Fahrgäste kommen. Geh, stehns auf, aus dem Weg, bittschön..."

Rick und Clarissa rappeln sich auf und schlendern eher peinlich berührt aus dem Bild. Sie gehen eine Weile nebeneinander her, ohne ein Wort zu sagen, dann:

Rick: "Hey. Äh. Danke für die versuchte Rettungsaktion..."

Clarissa: [nickt] "Gern geschehen..."

Rick: [zögerlich] "Äh. Diese kurze Umarmung in der Kabine und unser gemeinsamer Fall in die schreckliche Tiefe...war das jetzt irgendwie nicht doch romantisch für dich?"

Clarissa: [denkt kurz nach, dann lächelnd] "Ja..." [denkt länger nach] "Äh. Nein. Ich hab mir den Rücken geprellt..."

Rick: [verzieht Gesicht] "Jepp. Ich hab mir auch den Rücken geprellt..."

Beide lachen kurz und sehen sich an, verziehen dann aber nochmal schmerzhaft das Gesicht und dehnen und strecken sich laut jammernd und erstaunlich synchron nebeneinander.

Die Szene wechselt zu einer Ansicht in der Fußgängerzone. Sie kommen an einer Telefonkabine vorbei.

Rick: [unsicher] "Ähm. Wart mal kurz. Ich muß mal telefonieren. Meine...Mutter anrufen und so..."

Clarissa: "Okay..."

Rick wählt, aber bemerkt dann, daß Clarissa in Hörreichweite neben ihm stehengeblieben ist und ihn ansieht.

Rick: [in Telefon] "Äh. Hallo...Mutti...wie geht es dir?"

Er hält das Telefon sofort in einen gewissen Sicherheitsabstand vom Ohr. Die Stimme am anderen Ende ist die von Alex, es ist jedoch kein Wort zu verstehen. Rick sieht sich um und bemerkt, daß Clarissa ein Stück weiter gegangen ist. Er schließt die Tür der Kabine, um offener sprechen zu können.

Rick: [in Telefon] "Aha...Aha...okay. Jetzt halt mal die Klappe..." [Pause] "Ich habe hier ein Problem im Bezug auf das Thema Frauen und die vage Hoffnung, daß du ansatzweise was davon verstehst."

Der Wortschwall aus dem Hörer ebbt ab. Rick spricht übertrieben hastig und ohne Luft zu holen.

Rick: [hastig] "Was kann das sein: ich habe dieses Mädchen im Zug getroffen. Ich musste sie dort immer wieder anschauen. Da war so ein komisches Gefühl von...Verbundenheit, bevor wir überhaupt miteinander gesprochen haben. Mir tun die Füße weh und ich habe Hunger und trotzdem gehe ich hin, wo sie hingeht. Ich hab unfreundliches Zeug über Ihre Haare gesagt, aber nur, weil die so unglaublich gut riechen. Ich hatte mehrfach die Möglichkeit, in ihren Ausschnitt zu gucken und habe es nicht gemacht, weil ich es für falsch hielt. Was zum Geier...? Und als wir im Prater in der Gondel aufeinander lagen und rausfielen, habe ich ständig nur daran gedacht, daß sie sich nicht verletzen soll..." [holt tief Luft] "Was hältst du davon?"

Rick lauscht kurz in den Hörer.

Rick: [nachdenklich]: "Aha. Aha..." [erstaunt] "Wirklich?"

Er lauscht wieder kurz in den Hörer.

Rick: "Sie? Sie ist wegen mir aus dem Zug geworfen worden, mag meine Gargamel-Hypothese nicht und hat mir inzwischen..." [er zieht einen Notizblock hervor und liest ab] "...bisher zweimal eine gewischt, mir dreimal nahegelegt, daß ich mich verpissen soll und mir wiederum zweimal empfohlen, mein Knie zweckzuentfremden. Das war aber schon vor 2 Stunden. Was sagst du dazu?"

Er lauscht nochmal in den Hörer, die Einschätzung scheint ihm aber nicht zu gefallen.

Rick: [in Telefon] "Aha. Aha. Ach was." [Pause] "Ach, du hast doch keine Ahnung..."

Er legt den Hörer verärgert auf.

Die Szene wechselt. Es ist nun offenbar bereits später am Abend und es dämmert. Die Straßenlampen sind an und Rick und Clarissa sitzen vor einem Nobelhotel auf einer weiteren Bank und löffeln beide am gleichen Eis. Sie betrachten die Hotelgäste, offenbar auch, um über den einen oder anderen zu lästern.

Ein großer schwarzer Mercedes mit getönten Scheiben fährt vor. Als die Scheibe heruntergelassen wird, hören wir die Titelmusik von "Dr. Schiwago" aus dem Inneren. Ein Arm mit einer Zigarre erscheint und klopft die Asche auf den Boden vor dem Hotel.

Rick: [flüstert] "Das ist die russische Mafia..."

Clarissa: "Wie kommst du darauf?"

Rick deutet.

Zwei weitere Männer kommen aus dem Hotel. Sie sind angezogen wie Donkosaken, prosten sich mit Wodka zu und tragen auf den Schultern einen aufgerollten Teppich, aus dem hinten zwei Schuhe ragen.

Rick: [grinsend] "Siehst du..."

Clarissa: [erstaunt] "Heilige Stereotypie..."

Die beiden Männer werfen den Teppich in den Kofferraum des schwarzen Mercedes und schließen die Klappe. Die umstehenden Leute - einschließlich des Hotelportiers - gucken pfeifend in andere Richtungen. Die Tür des Autos öffnet sich und ein Mann im Anzug steigt aus. Er trägt einen schwarzen Aktenkoffer.

Er übergibt den Koffer an einen der beiden großen Männer und geht dann in das Hotel. Rick und Clarissa beobachten weiter von der Parkbank aus, wie die zwei Dunkelmänner den Koffer mit grimmigen Augen bewachen. Was ihnen nach ein paar Sekunden aber langweilig zu werden scheint. Sie stellen den Koffer ab und gehen nach hinten um den Wagen.

Als Rick und Clarissa durch das Bild schlendern, sind die beiden Männer gerade in einen "Deliverance"-artigen Musikwettstreit mit zwei Balalaikas vertieft. Rick zieht einen imaginären Hut in ihre Richtung und schlendert dann aus dem Bild.

Clarissa hakt sich bei Rick ein und sie gehen Arm in Arm einige Schritte. Rick ist erstaunt und lächelt kurz - blickt sich aber dann recht nervös nach hinten um und beschleunigt den Schritt.

Rick: [nervös] "Wir sollten etwas schneller gehen..."

Clarissa:  "Warum? Wir haben Zeit. Ich fühle mich irgendwie...frei. So als ob das Universum diese Nacht und in dieser Stadt für uns allein den Atem anhält und wartet, was daraus wird. Zwei kleine Teilchen zusammen im großen Entwurf..."

Sie tanzt kurz beschwingt im Kreis herum und hakt sich dann wieder bei Rick ein.

Clarissa: "Das Gefühl...wie soll ich sagen...es erinnert mich an ein Erlebnis, daß ich hatte, als ich 7 oder 8 Jahre alt war." [Pause, dann kurzes Schmunzeln] "...Ich hab das noch nie jemand Fremden erzählt und jetzt möchte ich es ausgerechnet dir erzählen. Frag mich nicht, warum. Also..." [kurze Überwindungspause] "...ich war damals bei meiner Großmutter zu Besuch und..."

Rick: [unterbricht] "Ich hab den russischen Mafiabuben ihren Koffer geklaut..."

Er deutet auf einen schwarzen Aktenkoffer, den er nun in der rechten Hand trägt.

Clarissa: [realisiert] "WAS? WARUM?"

Rick: [achselzuckend] "Hey. Ich dachte mir, wenn wir schon die ganze Nacht hier festsitzen, dann können wir doch zumindest etwas Handlung in die Sache bringen..." [Pause] "Außerdem brauchte ich einen neuen Koffer..."

Clarissa: "Eine gemeinsame Nacht mit Gesprächen und vielleicht Gefühlen ist dir nicht genug Handlung?"

Rick: "Hey. Wir sind die Actionfilm-Generation. Wir brauchen Leben und Abenteuer. Meine Idee war..."

Im Hintergrund sind laute und ärgerliche russische Rufe zu hören, dann Fußgetrappel und quietschende Autoreifen. Ein Auto biegt schnell um die Ecke, der Scheinwerferstrahl erfasst Rick und Clarissa.

Rick: [beendet Satz] "...vielleicht doch irgendwie bescheuert."

Er versucht Clarissa den Koffer anzudrehen ("Äh. Hier, nimm du..."). Nachdem sie den Koffer eine Weile hektisch hin und her gereicht haben, landet er wieder bei Rick. Clarissa läuft weg. Rick holt kurz aus, um den Koffer wegzuwerfen, entscheidet sich dann aber anders und nimmt ihn mit. Sie laufen in eine schmale Gasse.

[Ende 1. Akt]

Als sie am anderen Ende der Gasse wieder rauskommen, sind sie in einem düsteren und farblosen Szenario gelandet. Es ist dunkel und trübes Licht beleuchtet einen Platz mit Kopfsteinpflaster. Die Häuser sehen verlassen aus. Schuttberge liegen herum. Traurig aussehende Statuen blicken aus einer erhöhten Perspektive auf die Besucher.

Rick: [erstaunt] "Ich glaube, dieser Teil der Stadt ist touristisch nicht erschlossen..."

Große Schatten von laufenden Männern zeichnen sich an den Wänden ab, man hört laut hallendes Fußgetrappel.

Clarissa und Rick sehen sich suchend um - bis Rick etwas bemerkt. In der Mitte des Platzes steht eine einsame Litfaßsäule.

Sie laufen zu der Litfaßsäule (die Werbung darauf stammt aus den 40ern) und nach kurzem Achselzucken öffnet Rick eine Tür an der Seite. Dahinter sehen wir dunkle Stufen, die nach unten führen. Wasser rauscht in der Tiefe.

Rick: "Cool..." [er schnüffelt in die Tür und verzieht das Gesicht] "Öhm....Ladies first..."

Clarissa läuft nach unten und Rick nach tiefem Luftholen hinterher. Die Tür in der Säule schließt sich.

Die Szene wechselt zur beleuchteten Terrasse eines noblen Restaurants mit Blick über die Stadt. Ein Kanaldeckel am Boden öffnet sich scheppernd und einige Gäste springen überrascht auf.

Rick und Clarissa steigen aus dem offenen Kanal und tauchen in der Mitte der überraschten Gäste auf. Rick klettert aus dem Loch, hilft Clarissa nach draußen und klopft sich dann ab. Er sieht sich kurz um.

Rick: [freudig] "Ah, Venedig..."

Clarrisa: [korrigiert] "Wien..."

Rick: [verärgert] "Bring mich nicht aus dem Konzept."

Sie gehen beide nach rechts aus dem Bild, aber Rick kommt nochmal zurückgelaufen. Er greift sich eine leere Weinflasche von einem der Tische und füllt diese mit Wasser aus einem kleinen Zierbrunnen daneben.

Rick: [zu Gästen] "Das ist wichtig..."

Er verschwindet wieder nach rechts aus dem Bild.

Die Szene wechselt zu Rick und Clarissa an einer beleuchteten Uferpromenade am nächtlichen Donau-Ufer. Rick nimmt einen Schluck Wasser aus der Weinflasche und gibt diese dann Clarissa. Er hebt den verschlossenen Koffer auf und sieht ihn sich an.

Wir sehen den Koffer aus der Nähe und lesen die Aufschrift:

MacGuff-Sonite

Clarissa: "Willst du ihn aufmachen?"

Rick: [gibt ihr Koffer] "Das ist ein russischer Mafiakoffer. Es gibt sicher Abermilliarden von Kombinationen für das Schloss..."

Clarissa sieht sich den Koffer näher an und deutet dann kopfschüttelnd auf die dreistellige Anzeige pro Kombinationsschloß.

Clarissa: "Nein. Weil das Zahlenschloß nur 3 Stellen hat, gibt es zusammen mit der 0-0-0 maximal 1000 Kombinationen pro Seite. Das läßt sich finden..."

Rick zieht eine Grimasse und schnappt ihr den Koffer wieder weg.

Rick: [mürrisch] "Warum fühle ich mich bei dieser Sorte von Klugscheisserei fast wie daheim?"

Er setzt sich auf die Mauer und beginnt leise klickend die einzelnen Stellungen der Kombination durchzuprobieren.

Rick: "Bei einem Mann mit meinem Feingefühl in den Fingern und meiner Geduld ist es nur eine Frage der Zeit..."

Er klickt noch ein paar Sekunden weiter am Schloß, dann greift er verärgert nach rechts, nimmt einen Stein und schlägt fest auf die Oberseite des Koffers. Krachend brechen die beiden Schlösser auf.

Rick legt den Koffer auf den Boden. Wir sehen aus einer Kameraposition von unten, wie Rick und Clarissa gespannt auf den Koffer blicken. Rick holt tief Luft und öffnet den Deckel vorsichtig. Sie spähen hinein...

Die Szene wechselt. Rick und Clarissa sitzen nebeneinander an der Ufermauer und wirken perplex. Der Koffer steht wieder verschloßen am Boden neben ihnen.

Rick: "Also das hätte ich jetzt nicht erwartet..."

Clarissa: [kopfschüttelnd] "Ich auch nicht..."

Rick: "Ist es wirklich...?"

Clarissa: [nickt wortlos]

Beide spähen mit einem seltsamen Gesichtsausdruck nach unten auf den Koffer, der an der Mauer lehnt.

Clarissa: [nach Pause] "Wir sollten den Koffer zur Polizei bringen."

Rick: [nickt] "Einverstanden..." [Pause] "Wir schieben ihn morgen früh bei der Bahnhofspolizei unter der Tür durch?"

Clarissa: "Warum gehen wir nicht gleich sofort?"

Rick denkt kurz nach und kommt dann zu einer Antwort.

Rick: "Hast du nicht vorhin gesagt, daß du dich ungewöhnlich lebendig und frei fühlst? Daß dir diese Nacht in der Stadt Spaß zu machen beginnt? Daß du froh bist, jetzt nicht mehr im Zug zu sitzen und den Rest der Fahrt mit toten Philosophen auf Papier zu verbringen? Daß du..." [Pause] "...sogar ein bißchen anfängst...froh zu sein...nicht allein unterwegs zu sein? Das Leben...?"

Clarissa: [protestiert] "So habe ich das nicht gesagt. Der Wagon im Zug war zumindest beheizt..." [längere Denkpause] "Aber ansonsten hast du recht..." [Pause] "Nur was hat das mit dem Koffer zu tun?"

Rick: [achselzuckend] "Vielleicht ist der Koffer ein Symbol für das Abenteuer. Verfolgt von finsteren Mächten, gerettet von loyalen Helden, vereint im gemeinsamen Streben, morgen früh den Bahnhof zu erreichen..." [sein Magen knurrt] "...und vorher irgendwo was zu Essen zu klauen..."

Clarissa: [schmuzelt] "Camus sagte, das Absurde in der Welt ist ein grundsätzlicher Bestandteil der Existenz. Ich habe das nie ganz verstanden..." [Pause] "Bis jetzt..."

Rick: "Und der Mann kannte mich nicht mal..."

Clarissa: "Aber der Koffer gehört der russischen Mafia..."

Rick: "Könnte schlimmer sein."

Clarissa: [zieht Grimasse] "Wie?"

Rick: "Könnte Marsellus Wallace gehören..." [Pause] "Dann müssten wir das Schauspieltalent von Travolta ertragen."

Ein etwas heruntergekommen wirkender Mann im zerschlissenen Anzug taucht plötzlich aus dem Dunkel auf.

Poet: "Hallo. Eine kurze Frage..."

Rick und Clarissa springen auf, Rick greift hastig nach dem Koffer

Poet: "Ein junges Paar wie ihr, in dieser Stadt und in dieser Nacht - ihr seid doch bestimmt auf der Suche nach Poesie."

Rick: "Ich bin auf der Suche nach einer öffentlichen Toilette..."

Poet: "Ich mach euch einen Vorschlag: ihr gebt mir ein Wort - irgendein Wort - und ich schreibe um das Wort herum ein Gedicht. Wenn euch das Gedicht gefällt, gebt ihr mir dafür, was ihr wollt. Wenn es euch nicht gefällt, gebt ihr mir auch, was ihr wollt..."

Rick: [winkt ab] "Verpiss dich."

Poet: [nickt] "Verpiss dich? Sind zwar zwei Worte, aber okay..."

Er setzt sich wieder an das Donauufer und beginnt grübelnd in seinem Block zu kritzeln.

Rick und Clarissa gehen ein Stück weiter, um sich zu beratschlagen.

Clarissa: [flüstert] "Wir hauen einfach ab..."

Rick: [flüstert] "Wir schubsen ihn ins Wasser und hauen dann ab..."

Sie blicken kurz über ihre Schultern. Der Mann ist noch immer beim Schreiben.

Rick + Clarissa [synchron] "Wir hören es uns mal an..."

Nach einigen Sekunden ist der Mann fertig und trägt den beiden sein Gedicht vor.

Poet: [trägt schreckliches Gedicht mit "Verpiss dich" drin vor]

Rick und Clarissa sehen sich vielsagend an. Dann geht Clarissa einen Schritt nach vorne und tritt den Poeten zwischen die Beine. Dieser geht mit schmerzverzerrtem Gesicht nach rechts zu Boden.

Rick: [protestiert] "Heh. Ich wollte das machen..."

Clarissa geht davon und Rick beugt sich nochmal zu dem am Boden liegenden runter. Er schmeisst ein paar Münzen hin und geht.

Die beiden sind nur einige Schritte gegangen, als wir wieder quietschende Reifen hören. Der russische Mercedes bremst auf der anderen Straßenseite und einige ziemlich große Männer springen heraus und laufen in ihre Richtung.

Rick: "Och nöh. Das ist jetzt ganz schlechtes Timing..."

Er sieht sich um und bemerkt, daß Clarissa bereits weggelaufen ist. Er läuft hinterher.

Nach der Flucht durch einige dunkle Gassen kommen beide an einem Avantgarde-Theater vorbei (Name?):

Die Überschrift über dem Theater lautet:

Kaiser Franz-Ferdinand vs Alfredo, die Kuh

Darunter steht in großen Lettern "Eintritt frei".

Rick: [atemlos] "Der obere Titel ist Quark. Aber ich mag den unteren Titel..."

Im Hintergrund hören wir wieder Fußgetrappel und russische Rufe in den Gassen. Rick und Clarissa laufen in das Theater.

Im Innenraum hat sich scheinbar die gesamte intellektuelle Theaterszene der Stadt versammelt und mustert die Neuankömmlinge pikiert durch Monokel und über Brillengläser hinweg. Rick und Clarissa drängeln sich durch die Sitzreihen und setzen sich auf zwei Stühle in der Nähe der recht kleinen Bühne.

Dort sehen wir eine gemalte Hintergrundkulisse mit dem Mount Rushmore. Ein Strandkorb steht auf der Bühne, eine bunte Lichterkette spannt sich darüber. Gerade verneigt sich ein Zwerg, der angezogen ist wie Liberace und alles applaudiert.

Rick: [kratzt sich grübelnd an der Stirn]

Militärische Marschmusik erklingt und ein Mann in einer weißen, kaiserlichen Uniform marschiert im Stechschritt auf die Bühne.

Der Mann in der weißen, kaiserlichen Uniform schlägt mit der flachen Hand auf einen Kuhfladen auf dem Boden und wendet sich dann an einen Mann in einer bunten Fantasiekleidung voller Glühlämpchen.

Mann in Uniform: [wienerisch] "Geh, sagns, Sergeant Pepper, habn sie nicht die Sissi gsehn?"

Der Mann in bunter Leuchtkleidung tritt vor.

Leuchtmann: "Ich sage euch, mein Kaiser. Nur eines kann die k.u.k. Monarchie noch retten..." [dramatische Pause] "...und zwar die Macht der südamerikanischen Arbeiterklasse..." [laut] "...Arriba...Arriba...Anderle..."

Männer in der Kleidung von k.u.k-Palastwachen marschieren auf die Bühne und strecken die geballte Faust hoch.

Wachen: [laut] "Viva Che...Viva Che...Viva Che...."

Rick: [laut] "Das hat mir am österreichischen Fernsehen immer so gut gefallen. Die haben das beste Kasperletheater..."

Er blickt nach drüben zu seinem anderen Sitznachbar. Dieser sieht ihn verärgert an - wie alle im Raum.

Rick: [flüstert] "Ich glaube, wir sollten das Theater mitspielen, damit wir nicht auffallen..."

Er setzt einen intellektuellen Gesichtsausdruck auf (soweit möglich) und zieht seinen schlumpfigen Comic als Ersatz für ein Programmheft aus der Jackentasche.

Rick: [laut] "Nun, meine Liebe. Was sagen sie zu der Implikation über das monarchistische System als politischem Wiederkäuer?"

Clarissa scheint zuerst nicht in der Stimmung für das Spielchen zu sein und funkelt ihn verärgert an. Mit einem leichten Grinsen entschließt sie sich nach einigen Sekunden aber doch zum Mitmachen.

Clarissa: [amüsiert] "Ja, sehen sie, mein lieber Herr Doktor, die Vielschichtigkeit der Transzendenz zählt doch weit mehr..."

Die umsitzenden Zuschauer aus der Theaterszene rümpfen pikiert die Nase, aber die beiden machen mit ihrem Dialog ungerührt weiter. Der Dialog bzw. die Wortfetzen daraus laufen in etwa so:

"...aber die k.u.k. Monarchie?"

"...und Österreich-Ungarn"

"...Winston Churchill"

"...der Kaiser und das liebe Vieh"

"...unter Einbeziehung der Werke von Jacques Costeau"

"...jenseits von Eden oder doch lieber Abba?"

"...nicht zu vergessen: der Führer"

"...welcher Führer?"

"...der Führer zu den schlechtesten Stücken der Saison"

"...Exorbitant"

Die beiden prusten gemeinsam lachend heraus, als Rick beim Blick zum Eingang etwas bemerkt, das ihm weit weniger gefällt.

Rick: [leise] "Und Rick taucht jetzt ab..."

Er rutscht am Sitz runter und verschwindet im Fußbereich. Clarissa blickt sich um und bemerkt, daß die Buben von der Mafia in der Tür stehen und sich suchend umblicken. Alle haben ihre rechten Hände in den weiten Mänteln verborgen.

Clarissa: "Scheisse..."

Sie folgt Rick und die beiden kriechen auf allen Vieren zwischen den Füßen der anderen Zuschauer hindurch in Richtung Bühne.

Hinter der Bühne bemerkt Rick ein Kuhkostüm für zwei Personen im Fundus und setzt ein nachdenkliches Gesicht auf. Clarissa wirft einen Blick aus einem der hinteren Fenster und bemerkt den Mercedes in der Gasse geparkt.

Clarissa: "Wir kommen hinten nicht raus..."

Rick: [grinst] "Dann gehen wir eben vorne raus..." [er hält das Kostüm hoch] "Kopfteil oder Schwanzteil?"

Die Szene wechselt. Die beiden laufen im Zweier-Kuh-Kostüm nach draußen auf die Bühne, als von hinten gerade ein Mann im einteiligen Kuhkostüm von seiner Zigarettenpause zurückkommt.

Darsteller: [protestiert] "Heh. Ich bin die Kuh..."

Er will den beiden kurz nachgehen, besinnt sich dann aber anders ("War sowieso eine Scheißrolle...") und geht kopfschüttelnd nach rechts aus dem Bild.

Rick und Clarissa trotten im Kuhkostüm versteckt auf die Bühne.

Leuchtmann: "Willkommen Alfredo, die Kuh..." [Pause] "Welche Worte willst du an den Kaiser richten?"

Alle sehen die Kuh wartend an. Irgendwo in der Ferne zirpen Grillen.

Rick: [im Kopfteil] "Äh..."

Souffleuse: "Muh..."

Die Kuh trottet ein Stück im Kreis, wobei ersichtlich wird, daß Rick den Koffer einfach an den Schwanz der Kuh gebunden hat. Der Koffer schleift polternd über die Bühne. Rick versucht mit den Vorderbeinen eine Art lustigen Steptanz.

Als die Mafiabuben den Koffer bemerken, ziehen sie synchron ihre Waffen aus den Mänteln und zielen auf die Kuh. Jemand ruft etwas auf Russisch in die Menge.

Rick: [im Kopfteil] "Ei..."

Souffleuse: "Muh..."

Die Zuschauer im Theater bemerken die Männer. Nach kurzem Erstaunen beginnen alle laut zu applaudieren und stehen auf. Alle Gäste sehen einen Mann im bunten Anzug an und erwarten offenbar einen wertenden Kommentar.

Mann: [nach kurzer Denkpause]: "Grandios. Die Darstellung der romanovschen Einflüsse auf die k.u.k.-Monarchie...transzendiert in mafiöse Strukturen. Ich bin begeistert. Wer hat diese Idee zum kollektiven Drehbuch beigefügt?"

Jeder zuckt mit den Achseln und kommentiert dann wieder mit lautem Applaus. Mehrere Leute schütteln den perplexen Mafiosi die Hände. Im allgemeinen Tumult verschwinden Rick und Clarissa nach hinten und (aus dem Kostüm raus) durch eine Hintertür.

Die Szene wechselt auf die Bühne, auf der der russische Boss finster den abgerissenen Stoffschwanz der Kuh aufhebt. Der Koffer ist wieder verschwunden.

Russischer Boss: [düster] "Bringt mir den Kopf von Alfredo, der Kuh..."

Die Szene wechselt zu Rick und Clarissa, die eine Straße in Ufernähe entlanglaufen. Sie sind aber nur einige Schritte gegangen, als der dunkle Mercedes wieder mit quietschenden Reifen um die Ecke gebogen kommt.

Rick: "So langsam werden die Kerle lästig..." [Pause] "So war das nicht gedacht."

Er wendet sich Clarissa zu.

Rick: [eindringlich] "Weiß du noch, was ich über den Koffer gesagt habe? Daß er ein Symbol für das Abenteuer ist? Daß wir an ihm festhalten sollen bis morgen früh, weil wir Handlung und Leben brauchen?"

Clarissa: [nickt] "Ja..."

Rick: [lapidar] "Pfeif drauf..."

Er schwenkt den Koffer für alle sichtbar hoch in die Luft und läuft dann los. Der Mercedes rauscht an Clarissa vorbei hinterher.

Rick wirft den Koffer im Laufen über die Uferpromenade ins Wasser. Mit einem Platschen verschwindet er in den dunklen Fluten der Donau. Der Mercedes versucht schlitternd zu bremsen, kommt aber von der Promenade ab und kracht durch ein Geländer. Er platscht ebenfalls in die Donau. Russische Rufe und Platschen im Wasser sind zu hören.

Rick: [zufrieden] "Das dürfte dieses Kapitel abschließen..."

Clarissa: "Aber der Koffer...er ist ins Wasser gefallen..."

Rick: [winkt ab] "Kein Problem. Der ist doch bestimmt un..."

Er wird durch ein lautes Gluckgluckgluck-Geräusch aus Richtung des Koffers unterbrochen. Dann Stille.

Rick: "Upps..."

[Ende 2. Akt]

Die  Szene wechselt zu Rick und Clarissa, die wieder gutgelaunt (und endlich ohne Koffer) eine Straße entlang gehen. Ein etwas wirr aussehender alter Mann mit einigen Heliumballons in der Hand tritt aus einer dunklen Ecke.

Alter Mann: "Ballon, der Herr..."

Rick: [klopft auf Hosentasche] "Ich hab welche dabei..." [verärgert] "Hey. Was willst du mir hier unterstellen?"

Alter Mann: "Ballon, der Herr..."

Rick: [sauer] "Ich hau dir gleich..."

Clarissa: [haut Rick auf Hinterkopf] "Du sollst ihm einen Luftballon abkaufen, Döskopp..."

Die Szene wechselt zu Rick und Clarissa, die mit zwei Luftballons in den Händen durch eine leere Gasse schlendern. Es ist nun offenbar bereits später in der Nacht und die Stadt wirkt verlassen. Sie gehen durch den Eingang des Stadtparks und legen sich abseits vom Weg in das weiche Gras.

Clarissa blättert im Liegen in Ricks Schlumpf-Comic und scheint erstaunt zu sein.

Clarissa: "Du hattest Recht..."

Rick: "Über das Leben...?"

Clarissa: "Über Gargamel..." [Pause] "Warum ist mir das früher nie aufgefallen..."

Rick: "Sag das den Leuten auf der Comicmesse. Die haben mich und einen Freund mit faulen Eiern beworfen, als ich die These dort erläutert habe..." [Pause] "Nun - eigentlich waren sie sauer, weil ich Schlumpfines Jungfräulichkeit in Frage gestellt habe..."

Clarissa: [lacht] "Wirklich?"

Rick sieht sie kurz an und zuckt mit den Achseln.

Rick: "Du mußt nicht alles ernst nehmen, was ich sage..." [Pause] "Macht sonst auch niemand..."

Clarissa: [nachdenklich] "Vielleicht sollten sie..."

Sie sehen sich kurz schmunzelnd an, dann synchron:

Rick + Clarissa: [synchron und kopfschüttelnd] "Näh..."

Beide betrachten für einen Moment die Sterne. Irgendwo hört man eine Kirchenglocke und ein paar Vögel fliegen in den Büschen auf. Es ist deutlich, daß Rick etwas sagen möchte, aber keine rechten Worte findet. Schließlich überwindet er sich.

Rick: "Da ist eine Sache, die mir schon die ganze Zeit im Kopf rumgeht. Ich traue mich aber nicht, dich zu fragen..."

Clarissa: "Ja?"

Rick: [verlegen] "Diese Nacht war bis jetzt so wunderbar. Aber bevor wir einschlafen, gäbe es noch etwas, was mir diese Stunden endgültig als die vielleicht Schönsten meines Lebens krönen würde..."

Clarissa: "Ja?"

- Die Szene wechselt abrupt zur Ansicht eines Eisenbahntunnels. Ein Zug fährt in den Tunnel.
- Die Szene wechselt zu einer Champagnerflasche, die ploppend geöffnet wird. Der Champagner quillt heraus.

Die Kamera fährt zurück und wir sehen Rick und Clarissa in einem Lokal stehend. Im Hintergrund sehen wir, wie der Barmann gerade ein paar Gläser Champagner füllt, in der Mitte des Raumes steht als Dekoration eine große Modellbahnanlage. Zwei Züge drehen dort ihre Runden, einer fährt gerade wieder aus dem Tunnel heraus.

Rick: [sieht sich um] "Und hier mein Plan zur Krönung dieser Nacht: ich brauche was zu essen..."

Clarissa: "Wie sieht der Plan aus?"

Rick: [erstaunt] "Plan?" [Pause] "Ach so. Der Plan. Ich verstecke mich hinter dieser Vitrine da. Und du gehst zur Bar und klaust ein paar Gläser, eine Flasche Champagner, ein paar belegte Brötchen und falls möglich ein oder zwei Kissen..."

Clarissa: "Das nennst du einen Plan?"

Rick: [nickt] "Um diese Uhrzeit und auf leeren Magen - ja..."

Er späht nach drüben zur Bar.

Rick: "Sag einfach zum Barmann, wir bezahlen das Zeug später. Aber gib ihm nicht meine korrekte Adresse..."

Clarissa: "Ich kenne deine Adresse nicht..."

Rick: [augenzwinkernd] "Braves Mädchen..."

Die Szene wechselt zu Clarissa, die sich an die Bar setzt. Der Barmann kommt zu ihr.

Clarissa: "Hallo..." [deutet] "Kurze Frage - sehen sie den Typ da hinten?"

Barmann: [blickt kurz] "Sie meinen den, der versucht, sich hinter unserer Glasvitrine zu verstecken?"

Wir sehen Rick, der tatsächlich versucht, sich mit Verrenkungen hinter einer komplett durchsichtigen Vitrine zu verstecken.

Clarissa: [leicht resignierend] "Ja. Genau den..."

Die Szene wechselt zu Rick, der hinter der Vitrine vorspäht und sieht, wie der Barmann nach kurzer Unterhaltung lachend ein paar Gläser, eine Flasche und einige Brötchen in eine Tüte steckt und diese Clarissa gibt. Sie kommt gutgelaunt zurück.

Rick: [erstaunt] "Was hast du ihm erzählt?"

Clarissa: "Och - nichts weiter. Ich hab ihm etwas von meinem Tag heute erzählt und das ich dich trotzdem mag und auch für die restlichen Stunden mit dir zusammen sein will..." [Pause] "Er hat dann gemeint, meine Geschichte hätte ihm den Glauben an das Gute im Menschen zurückgegeben. Wenn du mich fragst, hatte er einfach Mitleid mit mir..."

Rick: "Heh Heh Heh" [realisiert ärgerlich] "Hey. Moment mal..."

Blende zurück in den Stadtpark. Die beiden liegen nun wieder im Gras, eine Champagnerflasche und zwei halbvolle Gläser stehen daneben. Sie sind offenbar in ein längeres Gespräch vertieft, dessen Anfang wir nicht mitbekommen haben.

Clarissa: "Und dieses...andere Mädchen, von dem du gesprochen hast - ich meine, liebst du sie?"

Rick: [laut] "Nein..." [längere Denkpause] "Doch. Ja. Irgendwie. Aber das ist was völlig anderes..."

Clarissa: "So mancher deiner Geschlechtsgenossen und der deutsche Fernsehfilm würden dir versichern, daß es dieses völlig andere überhaupt nicht gibt..."

Rick: "Pfffft. Man sollte nicht alles glauben, was man im Fernsehen sieht."

Einige Sekunden Schweigen.

Rick: "Sie ist da. Für mich. Und das ist gut so..." [Pause] "Aber ich habe immer gefühlt, daß neben ihr noch etwas ist. Ein...Raum in meinem Inneren, der nicht wirklich gefüllt ist." [Pause] "Man merkt vielleicht erst, daß er leer ist, wenn jemand an der Schwelle steht und man auf einmal erkennt, daß die Möblierung nicht vorhanden oder nicht vorzeigbar ist."

Clarissa: [gespielt unverständig] "Du kaufst bei Ikea?"

Beide lachen kurz, dann einige Sekunden Schweigen.

Clarissa: "Hast du jemals...hast du sie jemals anders gesehen oder anders gefühlt?"

Rick schüttelt amüsiert den Kopf und will zu einem Widerspruch ansetzten, besinnt sich dann aber anders.

Rick: "Vor einigen Monaten...wir hatten in der Stadt diese Kontroverse über den Neubau eines Brunnens auf dem Marktplatz. Wir waren (wie so oft) auf unterschiedlichen Seiten und sie wollte mir die Bedeutung von Ästhetik erklären. Ich habe nicht verstanden, bis zu jenem Abend im Museum..." [nachdenklich] "Aber als es soweit war, hing der Bürgermeister mit dem Architekten in dieser großen Skulptur fest, die Kapuzineräffchen hatten sich befreit und die Feuerwehr war im Großeinsatz..."

Clarissa: [erstaunt] "Was?"

Rick: [winkt ab] "Lange Geschichte..."

Er blickt nach oben in die Sterne.

Rick: [zögernd] "Als wir dann in diesem Pflanzenraum unter dem Dach waren...mit den Bildern und den Blumen...und das Licht der Polizeischeinwerfer durch das bunte Glas fiel und der Sprühnebel der Feuerwehr überall Regenbogen bildete - und als ich sie angesehen habe..." [Pause] "Da war dieser Kranz aus buntem Licht und ihre Form und die Haare und die Augen. Und die Zeit schien stillzustehen. Da war plötzlich mehr als Schein und Sein und die Oberfläche der Person gegenüber. In dem Moment habe ich verstanden, was die perfekte Ästhetik für einen Menschen bedeuten kann..."

Clarissa: "Und?"

Rick: "Ich war dann auf ihrer Seite..." [Pause] "Aber ich habe ihr nie gesagt, warum ich meine Meinung geändert habe..."

Clarissa: "Warum erzählst du es jetzt mir?"

Rick dreht den Kopf zur Seite und sieht sie an. Sie lächelt.

Die Szene blendet langsam aus.

Nach einer ungewohnt langen Dunkelblende sehen wir, daß nun der nächste Morgen ist. Die Sonne geht über der Stadt auf. Rick und Clarissa gehen eine morgendliche Straße entlang, als plötzlich leise klassische Musik zu hören ist. Sie bleiben an einem Fenster stehen, durch das man vom Bürgersteig aus in einen Kellerraum blicken kann.

Ein Mann in dem Kellerraum spielt Cembalo. Nach kurzen Zögern klopft Rick an das Fenster. Der Mann öffnet.

Rick: "Hallo. Wir beide haben uns gefragt, ob sie auch Vienna von Ultravox spielen können..."

Der Musiker sieht Rick und Clarissa zuerst erstaunt an.

Musiker: "Nun. Eigentlich spiele ich nur Schubert und Johann Strauß..." [achselzuckend] "aber okay..."

Er setzt sich an sein Cembalo und spielt Vienna von Ultravox. Rick und Clarissa beginnen eine Art von Walzer vor dem offenen Fenster zu tanzen. Die Kamera bleibt einige Sekunden bei ihrem Tanz.

Dann wechselt die Szene zu einer Montage. Die Cembalo-Musik blendet über in das echte "Vienna" von Ultravox. Wie sehen:

- die leere Parkbank auf der Rick und Clarissa gesessen hatten
- die leere Gasse, durch die sie in der Nacht gelaufen waren
- den Poeten vom Flußufer, der merklich hinkend in eine Arztpraxis geht
- die leere Kabine der Riesenradgondel im Prater
- den verschlossenen Koffer am Flußgrund. Ein Karpfen schwimmt daran vorbei.
- die klatschnassen Mafiosi in einer Gefängniszelle
- die leere Mauer an der Uferpromenade
- eine Putzfrau, die den Boden der Plattenhörkabine im Laden schrubbt.
- eine leere Champagnerflasche und zwei Gläser, die im Park im Gras liegen.

Die Musik blendet wieder zurück auf die Cembaloversion. Rick und Clarissa stehen Hand in Hand am Fenster und lauschen den letzten Tönen, die gerade abklingen.

Clarissa: [applaudiert]

Rick: [mit Feuerzeug] "Whooo..." [Pause] "Und jetzt Enter Sandman von Metallica..."

Der Mann steht auf und zieht die Vorhänge des Kellerfensters zu - sehr zu Ricks Enttäuschung.

Die Szene wechselt zum Bahnhof. Der Zug in die heimatliche Richtung für Rick fährt gerade ein.

Rick: [zögernd] "Okay. Dann...war es das wohl für heute. Ich hoffe...es...hat...hat..."

Clarissa: [nickt] "Es hat Spaß gemacht..."

Sie sehen sich an und umarmen sich dann für einige lange Sekunden. Das Bild im Hintergrund bleibt für die Zeit stehen.

Rick: [sieht ihr in die Augen] "Uns bleibt immer Paris..."

Clarissa: [korrigiert] "Wien..."

Rick: [sieht sich gespielt erstaunt um] "Tatsächlich?"

Als das Bild im Hintergrund weiterläuft, öffnen sich die Wagontüren für Rick. Er steigt ein und läuft dann zum Fenster.

Rick: [aus Fenster] "Also...ruf mich an..."

Clarissa: "Ich habe deine Nummer nicht."

Rick: [sucht Jacke ab] "Moment. Meine Karte..." [Pause] "Ach. Die waren..."

Clarissa: [beendet Satz] "...in deinem Koffer."

Rick: "Egal. In der heutigen Zeit von omnipotenten Suchmaschinen und völliger Vernetzung können sich zwei Menschen doch sowieso nicht mehr aus den Augen verlieren. Ich googel einfach nach deinem Namen und steh dann vor der Tür..."

Clarissa: [nach Zögern] "Du kennst meinen Nachnamen nicht." [Pause] "Und ich nicht den deinen..."

Rick: [erstaunt] "Wirklich..." [achselzuckend] "Wir hatten eine ziemlich miserable Gesprächskultur, oder?"

Clarissa: [kopfschüttelnd] "Nein..."

Der Schaffner pfeift und der Zug fährt an, während Rick noch immer in den Taschen sucht. Er zieht ein Papier hervor.

Rick: "Hey. Ich hab doch eine Visitenkarte gefunden..." [liest kurz] "Ach nöh...da steht noch meine alte Emailadresse drauf..."

Er steckt die Karte wieder ein und hält Clarissa die Hand hin, aber der Zug ist bereits zu schnell unterwegs. Sie läuft mit.

Clarissa: [laut] "Warte. Mein Name. Er ist..."

Eine quäkende Ansage aus einem Lautsprecher übertont das Gesagte. Rick zuckt mit den Achseln und deutet auf seine Ohren. Der Zug beschleunigt nochmals und der Bahnsteig ist fast zu Ende. In letzter Sekunde öffnet sich eines der hinteren Fenster und ein Stückchen Papier wird rausgeworfen. Es tänzelt durch die Luft und landet dann wenige Zentimeter vor Ende des Bahnsteigs auf dem Boden. Der Zug verschwindet endgültig aus dem Bahnhof.

Clarissa kommt angelaufen, bückt sich und hebt das Stück Papier auf. Es ist Ricks Versuch von gestern, sich mit Wachsmalstiften eine Ersatzfahrkarte zu malen. Nur ein paar Striche und unleserliche Worte, keine weiteren Daten. Wir sehen, daß hinten auf dem Papier drei Worte stehen, die wir jedoch aus der Entfernung nicht lesen können. Clarissa dreht den Zettel um und liest...

Die Szene wechselt zu einer Luftansicht eines fahrenden Zuges. Der Zug fährt schnurgerade nach links durch eine sommerlich grüne Landschaft, am Rand der Strecke sehen wir kleine Wälder und vereinzelte Häuser.

Die Szene blendet in einen fast leeren Wagon.

Rick blickt nach drüben auf die andere Seite des Wagons. Der Sitzplatz dort ist leer. Er blickt zum Fenster auf seiner Seite und sieht sein Spiegelbild darin. Draußen zieht wieder grüne Landschaft vorbei. Mit einem tiefen Schnaufer zieht Rick seinen Comic aus der Tasche und fängt hastig und oberflächlich an, darin zu blättern.

Nach einer Weile blickt er wieder auf. Wir sehen für einige Sekunden eine Nahaufnahme seines Gesichtes.

Eine dicke Träne läuft ihm über die rechte Wange...

Die Szene blendet langsam aus.

ENDE

Abspann läuft stumm ohne Musik

Weiter zum nächsten Skript "Farbskizzen"